Gut Pfiff!

Ein Sonntagvormittag im September. Mein Sohn, der mit seiner F-Junioren Mannschaft im Fussballkreis Ostbrandenburg aktiv ist, hat soeben eine herbe Auswärtsniederlage erlitten. Auf dem Rückweg ist der Schuldige für die 10:1 Klatsche durch meinen wild gestikulierenden Beifahrer schnell ausgemacht. Der Schiedsrichter!

Der Junior attestiert dem Unparteiischen in seiner recht umfangreichen Analyse mangelndes Stellungsspiel, einen geringen Bewegungsradius und ein deutlich zu hohes Alter.

Umgehend erkenne ich, dass hier ein offensichtlicher Erziehungsauftrag vorliegt. Doch bevor ich meine vier Semester Instagram Pädagogik Fachrichtung Reels vollständig zur Anwendung bringen und den 7-jährigen anweisen kann, zunächst die eigene Leistung und die der Mannschaft zu hinterfragen, unterläuft mir ein fataler Fehler. Unmittelbar nach dem ich meine Ausführungen beginne, habe ich das Gehör meines Sohnes bereits wieder verloren bzw. gilt seine Aufmerksamkeit nun einem anderen Thema. Schuld daran trägt mein Eröffnungssatz: „Ich war mit 18 Jahren auch mal Schiedsrichter und weiß, dass die Leistung eines Schiedsrichters nicht zwingend am Alter festzumachen ist“. Ehe ich zu einem mehrminütigen Monolog ansetzen kann, schallt voller Erstaunen lautstark die Frage: „Du warst mal Schiedsrichter?“, durch unser Fahrzeug.

Zugegebenermaßen war es fast eine Beleidigung für die pfeifende Zunft, dass ich das, was ich da innerhalb eines Jahres als junger Referee fabriziert hatte, als Schiedsrichterei bezeichnete. An zwei Wochenenden hatte ich im Jahr 2008 in einem wahren Crashkurs den Anwärterlehrgang zum Schiedsrichter absolviert und wurde anschließend auf die fussballgeile Menschheit losgelassen. Von Schiedsrichter bis Linienrichter, von Frauen bis Junioren. Das Spektrum meiner Einsätze war durchaus breit gefächert. Und wenngleich meine Erinnerungen an meine Zeit als Schiedsrichter vor allem mit zahlreichen Slapstick-Einlagen behaftet sind, wobei ich insbesondere an die Spielleitung eines A-Junioren Spiels zurückdenke in dem mir die Spieler beider Mannschaften mehrfach meine Karten und meinen Stift brachten weil ich die Utensilien immer wieder aus der Tasche verlor, weiß ich noch immer, wie wenig Beistand ich als junger Schiri vom damaligen Fussballkreis erhielt. Ein Umstand, der letztendlich dazu führte, dass ich die Pfeife nach kurzer Zeit bereits wieder an den Nagel hängte.

Subjektiv betrachtet, nehme ich aktuell eine deutliche Verjüngung der Schiedsrichter innerhalb unseres Fussballkreises Oberhavel/Barnim wahr und frage mich, was machen die Verantwortlichen inzwischen anders und vor allem besser. Die Betrachtung des Altersdurchschnittes eine Fehleinschätzung meinerseits, wie Jonas Marx als Nachwuchskoordinator des FK OHV/BAR faktisch belegt. „Statistisch gesehen ist der Durchschnitt der eingesetzten Schiedsrichter seit Jahren konstant bei ~30,8 Jahren. Ich denke eher, dass durch die gute Arbeit mit den vielen jungen Schiedsrichtern im Förderkader, unseren Mut jungen Schiedsrichtern auch früher größere Aufgaben anzuvertrauen und die Veranschaulichung dessen über die Öffentlichkeitsarbeit, die Präsenz und Wahrnehmung der jungen Schiedsrichter gestiegen ist, insbesondere in den höheren Ligen. Junge Schiris pfeifen nicht mehr nur Junioren und stehen bei den Herren an der Linie, sie übernehmen früh hohe Verantwortung und leiten eigenständig Spiele“, so Marx.

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Junges Gespann – keine Seltenheit im Fussballkreis Oberhavel/Barnim
Bild: Ingo Muhme – Barnim Rasenballsport

Öffentlichkeitsarbeit! Ein mittlerweile nicht mehr zu vernachlässigender Faktor, will man Leute für das Thema Schiedsrichter begeistern. 2008, als ich mich kurz davor sah, zukünftig Markus Merk als deutsches Aushängeschild im Schiedsrichterwesen abzulösen, bestand Öffentlichkeitsarbeit für Unparteiische darin, dass Vereine angehalten wurden, zur Verfügung gestellte Plakate mit Slogans wie „Alle tanzen nach deiner Pfeife“ auf dem eigenen Sportgelände aufzuhängen. Der Rest würde sich schon ergeben. Wenngleich man anerkennen muss, dass die Medienlandschaft und Social Media Kanäle in dieser Zeit sicher noch nicht so ausgeprägt waren, wie heutzutage und die Vielfalt der Möglichkeiten klare Grenzen hatte. Dennoch fällt auf, dass sich auf diesem Themenfeld ein Wandel vollzogen hat. Ein Beispiel dieses Wandels bildet der Schiedsrichterausschuss im Fussballkreis Oberhavel/Barnim ab, welcher hinsichtlich Transparenz in den vergangenen Jahren eine 180 Grad Drehung vollzogen hat, wie auch Nachwuchskoordinator Marx bestätigt. „Die öffentliche Präsenz zu steigern war ein großer offener Punkt bei Amtsantritt vor etwa 2,5 Jahren. Sowohl im speziellen für den Schiedsrichterausschuss, als auch im Allgemeinen im Fussballkreis. Hiermit erreichen wir natürlich insbesondere die jungen Menschen sehr gut, können aber auch großartig für Transparenz und Präsenz bei allen Vereinen, Spielern und Interessierten sorgen und so spannende Einblicke gewähren.“

Marx, selbst aufstrebender Schiedsrichter, gehört wie viele seine Mitstreiter im Ausschuss zur jungen Garde. Braucht es das, wenn man junge Leute an das Hobby Schiedsrichter heranführen möchte? „Es stellt keine zwingende Notwendigkeit dar. Insbesondere zu Beginn des gemeinsamen großen Fußballkreises OHV/BAR war die Verjüngung des Schiedsrichterausschusses noch nicht allzu sehr ausgeprägt. Die Ausbildung gerade junger Sportfreunde hat aber schon damals funktioniert. Aber es ist definitiv ein großer Vorteil, da es jungen Leuten insgesamt natürlich etwas einfacher fällt, junge Leute anzusprechen und zu erreichen. Gleichzeitig können wir als Vorbild dienen, wie dieses Hobby gerade als junger Mensch charakterlich bereichern kann und auch welche Möglichkeiten geboten werden, als junger Schiedsrichter Karriere zu machen.“, führt Marx aus.

Die Initiative der Fussballkreise bei der Gewinnung von Unparteiischen ist gegenüber der Vergangenheit offensichtlich deutlich gestiegen und dennoch tragen selbstverständlich auch die Vereine an dieser Stelle weiterhin große Verantwortung, wie auch Marx bestätigt. „Die Schiedsrichtergewinnung ist genauso wie die Gewinnung von Spielern, Trainern und Vereinsmitgliedern grundsätzlich Aufgabe der Vereine. Ohne Spieler gibt es keinen Verein und ohne Schiedsrichter keinen Fußball. Dieses Verständnis sollten wir alle haben und die Schiedsrichter ganz klar als Teil des Fussballs und auch als Teil des Vereinslebens betrachten. Dennoch unterstützen wir in der Gewinnung mit bspw. der sehr präsenten Öffentlichkeitsarbeit, bieten Infoabende bei den Vereinen und sehen uns dann vor allem möglich zu helfen, indem wir gewonnene Schiedsrichter bestmöglich betreuen und weiterbilden, um sie langfristig zu halten.“

Das bei der Betreuung und Entwicklung frisch gebackener Referees inzwischen ein komplett anderer Weg verfolgt wird, verdeutlicht Nachwuchskoordinator Marx mit seinen weiteren Ausführungen. „Wir haben bspw. nachgelagert zum Anwärterlehrgang das Patensystem erschaffen, bei welchem ausgewählte und erfahrene Paten die frischen Schiedsrichteranwärter bei den ersten drei Spielleitungen begleiten, um den Einstieg zu vereinfachen. Früher wurden junge Anwärter nur „in’s kalte Wasser geschmissen“. Danach folgt grundsätzlich erstmal die erste Saison, in welcher das Sammeln von Erfahrung Priorität hat. Wie lässt sich die Schiedsrichterei und Spiele am Wochenende in den eigenen Alltag integrieren. Wie leite ich dann tatsächlich auch ein Spiel. Diese Frage ist deutlich komplizierter als nur die Regeln zu kennen. Es ist ein bisschen wie beim Führerschein: Man kann vielleicht grundsätzlich Autofahren nach bestandener Prüfung. Bis man ein guter Autofahrer ist, vergeht aber noch eine ganze Menge Zeit. Diese Zeit wollen wir den Anwärtern auch erst einmal geben, zudem viele noch parallel selbst spielen. Anschließend stehen den Anwärtern über Weiterbildungen, Förderkonzepte und Eigenengagement alle Möglichkeiten offen.“

Wenn ich diese Zeilen jetzt lese, kommt unweigerlich die Frage auf, ob ich unter diesen gebotenen Voraussetzungen und Chancen eventuell heute noch Schiedsrichter wäre? Eine Frage, die ich schlichtweg nicht beantworten kann. Dennoch kann ich mit Sicherheit sagen, dass das derzeitige Konzept und die Wertschätzung der Verantwortlichen dafür Sorge getragen hätten, dass ich nicht so schnell aufgegeben hätte.

Als ich vor kurzem ein Trainingsspiel meines Sohnes am Spielfeldrand als Schiri geleitet habe und er nach dem Abpfiff mit den Worten „gut gepfiffen für dein Alter“ zu mir kam, hatte ich endlich meinen Frieden mit dem Schiedsrichterwesen gemacht. Und jeder Fussballbegeisterte sollte zumindest einmal ausführlich darüber nachgedacht haben, ob die Aufgabe des Schiedsrichters für sie oder ihn nicht eine gute Möglichkeit darstellt, mit diesem wunderschönen Sport noch mehr in Berührung zu kommen.

Aber alles Ansichtssache.

(Ein Dank gilt Jonas Marx vom Schiedsrichterausschuss des Fussballkreises Oberhavel/Barnim, der uns in seiner Funktion als Nachwuchskoordinator Rede und Antwort stand!)

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